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Lokalpatriotismus light

Eigentlich hatte ich zunächst versucht, dem WM-Rummel ein bisschen zu entkommen. Vielleicht, weil ich dank Public Viewing sowieso jedes Spiel zuhause mithören kann. Aber da hatte ich nun endlich eine tolle Kamera in der Hand und direkt vor der Tür mein Wunschmotiv schlechthin: Menschen. Also doch Public Viewing.

Die Stimmung nach dem Sieg gegen Ghana war außerdem so ausgelassen, dass sich niemand daran störte, fotografiert zu werden. Ein Fußballfan versuchte sogar ganz angestrengt mich davon zu überzeugen, wie wichtig es sei, dass ich ausgerechnet ihn fotografiere. Andere waren währenddessen damit beschäftigt aus mir unbekannten Gründen die Straße zu besetzen, an Autos zu rütteln und Fahnen zu schwenken, als sei Deutschland schon Weltmeister. Dabei erschienen selbst die Lautesten vergleichsweise friedlich – sofern sich das Wort friedlich mit dem Rütteln an fahrenden Autos vereinbaren lässt. Doch dann schnauzte ein Mädchen vor mir einen Autofahrer mit „Hau ab, du Neger!“ an, was außer mir offensichtlich niemand hörte oder zumindest niemand kommentierte. Meine lautstarke Entrüstung ging im Gegröle der anderen unter, also entschied ich mich kurzerhand weiterzuziehen. Was nützt auch eine „Diskussion“ im Gemenge betrunkener Fußballfans? Prügeln und Haareziehen ist auch nicht so mein Stil.

Also was bleibt da noch? Richtig. Fotos. In diesem Fall gab es aber keine weiteren Ausschreitungen zu dokumentieren, stattdessen erbrachte mir die Bonner Altstadt mal wieder den akut ersehnten Beweis, wie ein „multikulturelles“ Miteinander funktionieren kann. Die Anführungszeichen symbolisieren meinen Unwillen, dieses abgelutschte Wort in den Mund zu nehmen bis es irgendwann kugelrund ist, aber hier passt nichts besser. Das Multikulti-Heiteitei manifestierte sich diesmal jedenfalls in Form zweier südamerikanischer Trommler und zweier Tänzerinnen, die auf der Straße und fast auf den Motorhauben vorbeifahrender Autos den Ausgang des Spiels feierten. Dazwischen Afrikaner, Türken und alle, für die mir spontan die Schubladen fehlten.

Auf dem weiteren Heimweg, vorbei an dem Kiosk meines Vertrauens, behängt mit Ghanas Nationalflagge und bevölkert von durstigen Nachbarn, dachte ich, dass ich vermutlich zum ersten Mal einen Wohnort vermissen werde, wenn mich Neugier und neues Studium (?) hier wegziehen.

Zur Erinnerung an den Tag hab ich jetzt immerhin ein paar Fotos, hier aber nur ein paar, die auch halbwegs was geworden sind: